Das Transitverbot für sanktionierte Waren könnte die ohnehin schon starken Spannungen zwischen Russland und der NATO weiter verschärfen.
Am 24.02. Februar hat Russland die Ukraine überfallen. Der Krieg tobt zwar derzeit hauptsächlich im Donbass etwa 2000 km von Berlin entfernt, aber zu Russland gehört auch die Exklave Königsberg, eingeschlossen zwischen Litauen und Polen, die nur 300 km von Berlin entfernt ist. Vielleicht hat man deshalb diesen Teil Russlands bei den Sanktionen außen vorgelassen, weil es den Krieg vor die Haustüre hätte bringen können. Durch die Anwendung der seit März geltenden EU-Sanktionen gegen Russland auch auf das Gebiet der Exklave Königsberg, seit Mitte Juni, hat sich dies alles geändert. Dass vor der Sanktionsverkündigung bereits der ultranationalistische russische Hardliner Jewgeni Fjodorow im russischen Parlament die Unabhängigkeit des Nato-Staates Litauen öffentlich in Frage gestellt und gefordert hatte, dass Russland als Rechtsnachfolger der Sowjetunion dem baltischen Staat die Souveränität aberkennen müsse, das war im Westen kaum bekannt. Litauen war im März 1990 die erste der ehemaligen Sowjetrepubliken, die ihre Unabhängigkeit erklärte, der erste Dominostein, der fiel und die anderen mit sich riss. Viele Politiker in Moskau haben den Litauern das bis heute nicht vergessen.
Die Enklave Königsberg ist die Heimat der russischen Ostseeflotte und Stationierungsort für Moskaus atomwaffenfähige Iskander-Raketen, 500 km trennt die Exklave von der russischen Landgrenze und mehr als 1000 km von Moskau. Litauen hat nicht vergessen, wie 2014 die Besetzung der ukrainischen Krim von russischer Seite begann. Auf der Krim gab es auch bereits eine russische Exklave, in Sewastopol, der Sitz der russischen Schwarzmeerflotte, vor der Annexion. Deren 20.000 Mann wurden von Putin 2014 in grüne Uniformen gesteckt und sie umstellten die ukrainischen Kasernen auf der Krim. Nach wenigen Tagen war die Krim im Sinne Putins kampflos russisch geworden. Wie viele Soldaten Russland im Königsberger Gebiet stationiert hat, weiß niemand, es können 20.000 sein, aber auch 200.000.
Als die litauischen Behörden Mitte Juni den Transit von Gütern in die russische Enklave Königsberg, die den Sanktionen der EU unterliegen, durch ihr Hoheitsgebiet verboten, war der russische Aufschrei groß. Moskau sprach von Blockade, obwohl nur Materialien betroffen sind, die auf der EU-Sanktionsliste stehen: Kohle, Metalle, Baumaterialien und Spitzentechnologie. Diese Substanzen können zur Herstellung von Rüstungsgütern verwendet werden. Alle anderen Güter, vor allem Lebensmittel, dürfen weiter in die Exklave Königsberg eingeführt werden. Täglich rollen weiter drei Zügen, auch mit Personen im wehrfähigen Alter, die jetzt allerdings verstärkt kontrolliert werden. Schon oft wurde in der Vergangenheit beobachtet, wie Pakete mit Schmuggelware aus den Fenstern der Züge flogen und dass junge Männer in Scharen vor Wehrübungen aus Russland kommend zivil ungehindert nach Königsberg reisten.
Der Gouverneur von Königsberg, Anton Alikhanov, sagte, das Verbot würde zwischen 40 und 50 Prozent der Waren betreffen, die das Königsberger Gebiet über Litauen aus Russland importiert. Der EU-Außenbeauftragte Borrell stellte sich hinter die Maßnahme der Litauer. Sollten die Maßnahmen nicht schnell aufgehoben werden, müssten die Fährverbindungen von St. Petersburg her erhöht werden, um die dringend benötigten Baumaterialien einzuführen. Moskau drohte mit Vergeltung, auch eine russische Blockade des größten litauischen Hafens Memel, könnte dazugehören.
Die Bundeswehr führt in Litauen die NATO-Kampfgruppen
Seit 1993 hatte Russland mehrmals mit Druck auf Litauen versucht aus der Eisenbahnlinie offiziell einen militärischen Korridor zu machen, was einen unkontrollierten Transport von Personen und Gütern erlaubt hätte. 2003 einigten sich Russland und Litauen auf vereinfachte Visumsregeln, gleichzeitig verpflichtete sich Russland, die litauischen Behörden über Art und Umfang der Fracht zu informieren. Litauen trat ein Jahr später der NATO und der EU bei. Der sogenannte Suwalki-Korridor der die russische Exklave von dem Verbündeten Belarus trennt, gilt als größte Schwachstelle der NATO. Würden die Russen den 65 Kilometer langen Korridor einnehmen, wäre Königsberg keine Exklave mehr, dafür aber die drei baltischen Staaten, die dann vollständig von Russland, Belarus und Königsberg eingeschlossen wären. Die Verteidigung dieses Korridors obliegt auch der Bundeswehr mit der Panzergrenadierbrigade 41 „Vorpommern“, die in Litauen stationiert ist. Die rund 500 deutschen Soldaten führen die etwa 1.600 NATO-Soldaten umfassende multinationale Battlegroup in Litauen an.
Bodo Bost