Landwirtschaft

1930 gab es im Memelland:
– 49 Güter über 200 ha,
– 81 Güter mit 100 – ha,
– 295 großbäuerliche Betriebe mit 50 -100 ha,
– 1847 großbäuerliche Betriebe mit 20 – 50 ha,
– 3136 mittelbäuerliche Betriebe mit 10 – 20 ha,
– 3499 mittelbäuerliche Betriebe mit 5-10 ha und
– 3658 kleinbäuerliche und Parzellenbetriebe mit 1 – 5 ha.

Der mittel- und großbäuerliche Besitz umfaßte über 70 % des Bodens, der kleinbäuerliche über 13 %, so daß nur 16 % auf Großbetriebe entfielen. In Ostpreußen besaßen die Gutsbesitzer 37 % der Ackerfläche, so daß das Memelland als ausgesprochen arm an Gütern bezeichnet werden kann. Während sich die Kreise Memel Pogegen dem ostpreußischen Durchschnitt näherten, hatte der Kreis Heydekrug mit nur 13 Betrieben über 100 ha eine ausgesprochen kleinbäuerliche Struktur. Im Ackerbau stand die Kartoffelmengen- und qualitätsmäßig im Memelland an der Spitze, wenn sie auch nur
4,7% des Bodens einnahm. 18000 t Aussaat wurden (im fünfjährigen Durchschnitt) 165000 t geerntet, von denen 45 000 t für die menschliche Ernährung, der Rest für Aussaat und Schweinefütterung verwendet wurden.
Daß der Kartoffelertrag des Memellandes 1921 mit 150 dz/ha erheblich über dem ostpreußischen Durchschnitt mit 127,7 dz/ha lag, bestätigte den Vergleich von 1913. Der Roggen, der 15% der Nutzfläche einnahm, folgte mit 34 000 t,während der Weizenanteil 4 100 t gering war. 24 100 t Hafer und 22 900 t Gerste und Gemenge (alle Zahlen für den Zeitraum 1933/37 als Jahresdurchschnitt rechnet) übertrafen die Weizenmengen bei weitem.
Die bedeutendsten Flächen beanspruchten Klee und andere Futter pflanzen, Wiesen und Weiden. Memelland gehörte zu den letzten noch vorhandenen preußischen Flachsanbaugebieten mit den schönen blaublühenden Feldern.

Anbauverhältnisse

Die einzelnen Feldfrüchte haben folgenden Anteil an der landwirtschaftlichen Nutzfläche: Man erkennt, daß der Grünlandanteil 50 – 65 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche betrug. Weizen-, Zuckerrüben- und Hülsenfruchtanbau war unbedeutend, da weder die Bodenqualität noch die Klimaverhältnisse dafür ausreichend waren. Verhältnismäßig gering war auch der Hackfruchtanbaubau, insbesondere der Futterrübenanbau. Es gab allerdings die Sonderformen der Moorbetriebe, die sich nur auf Kartoffelanbau konzentrierten oder der Gemüsebetriebe in Pokallna und Warruß. Allgemein kann man sagen, daß die Natur das Memelland zur Viehzucht bestimmt hatte. 15 % der Anbauflächedienten der direkten menschlichen Ernährung, während 85 % der Ernährung des Viehbestandes dienten.

Pferdezucht

Das Memelland ist ein Teilgebiet des bedeutenden preußischen Pferdezuchtgebietes. Ostpreußen deckte bis zum ersten Weltkrieg und auch noch lange danach weit über die Hälfte des Remontebedarfs des Heeres. Die Blüte der Pferdezucht ist mit dem Namen des Hauptgestütes Trakehnen, einer Schöpfung Friedrich Wilhelm I, unlösbar verbunden. Das Memelland besaß einen ständigen Pferdebestand von über 30 000 Tieren. Urahnen des edlen ostpreußischen Halbblutes, das auch im Memelland gezüchtet wurde, sind die halbwilden Pferde der Pruzzen und Litauer. Diese wurden u. a. in der Stuterei Georgenburg schon zu Ordenszeiten mit den aus Thüringen, Holland und Dänemark mitgebrachten schweren Schlägen gekreuzt. Auf diesem Unterbau wurde 1732 das Trakehner Stutamt
gegründet, wo nach anfänglichem planlosen Herumzüchten durch Verwendung von orientalischen und englischen Vollbluthengsten das einheitliche Modell des Trakehner Edelhalbblutes geschaffen wurde.

Vom litauischen „Panjepferd“ erhielt der Trakehner die Genügsamkeit, vom Orientalen die edle Form, die Gewandtheit und Gelehrigkeit, vom englischen Vollblut Drahtigkeit, zähes
Stehvermögen und Tempo. Die Pferde mit dem Elchschaufelbrand auf dem rechten Hinterschenkel wurden nicht nur in Deutschland zu einem Begriff. Die Halbblüter sind
anders als die Kaltblüter keine Schritt-, sondern Laufpferde. Wenngleich ihre große Zeit mit der Motorisierung der Armeen vorüberging, erfreuen sie sich als Reitpferde nach wie vor großer Wertschätzung.

Eigentliche Züchter der Remonten waren kleinere und mittlere Landwirte, sie verkauften die Absatzfohlen für 300-400 Mark, gute Hengstfohlen auch bis zu 600 Mark an die großen Güter, die die weitere Aufzucht der Remonten übernahmen. 1909 betrug der Durchschnittspreis für ostpreußische Remonten 1065 Mark. Wichtig für die Begründung einer Pferdezucht war der Besitz einer Stute mit dem doppelten Elchschaufelbrand des „Ostpreußischen Stutbuches für edles Halbblut Trakehner Abstammung“ Pferde, die von einer Stutbuchstute und von einem Haupt- oder Landbeschäler oder einem angekörten Privathengst abstammten, erhielten als Wertmarke den Litauischen Kontrollbrand mit einer Elchschaufel, über der eine stilisierte Reichskrone schwebt. Nach dem ersten Weltkrieg wurde die Pferdeausfuhr schwierig, und die Pferdezucht mußte sich zum großen Teil auf die Deckung des Bedarfs an Spannpferden beschränken. Neben dem ostpreußischen Stutbuch, das 1937 etwa 400 eingetragene Stuten umfaßte, wurde 1920 ein Pferdestammbuch Memelland e. V. geschaffen, in dem 800 Stuten eingetragen waren.

Beide Verbände hatten das Ziel, die Trakehnerzucht auch während der Abtrennungszeit rein zu erhalten und zu verbessern. 70 % der Pferdezucht lagen im Kreis Pogegen, 20 % im Kreis Memel. 1937 gab es 49 gekörte Stutbuchhengste, davon 13 auf großen Gütern, 26 bei Bauern und 10 bei Hengsthaltungsgenossenschaften. 1921 konnten die memelländischen Bauern 3129 Pferde ausführen, fast alle ins Reich. 1926 war die memelländische Pferdeausfuhr auf 1143 Pferde gefallen, 1931 sogar auf 325 und 1935 auf 87. Diese Ausfuhrzahlen verstehen sich ohne Fohlen. 1935 und 1936 durften keine Fohlen nach Deutschland ausgeführt werden. Erst im Herbst 1936 konnten wieder einige Remonten und Volljährige in Tilsit verkauft werden. Allerdings kaufte 1936 das litauische Heer über 1000 Remonten im Memelland. Um diese Zeit erhielten jährlich rund 700 Füllen den Kontrollbrand, von denen mindestens die Hälfte als Ein- und Zweijährige zum Verkauf standen.

Viehzucht

Für die Rinderzucht bietet das Memelland mit seinen weiten Niederungsgebieten ideale Bedingungen. Auch hier wurde bis 1944 nicht nur der eigene Bedarf gedeckt, sondern Schlacht- und Zuchtvieh ausgeführt.Vorherrschend war im Memelland das schwarzbunte Holländervieh, zu dessen Verbreitung und Veredlung die „Herdbuchgesellschaft zur Verbesserung des in Ostpreußen gezüchteten Holländer Rindviehs“ beitrug.In das Herdbuch wurden nur Tiere eingetragen, die eine Kommission als zur Zucht geeignet befunden hatte.

Stierhaltungsgenossenschaften brachten auch den kleinbäuerlichen Züchter in die Lage, hochwertige Sterken auf den Markt zu bringen. Der Rindviehbestand des Memellandes betrug ständig 60 – 70 000 Stück Allein in Heydekrug wurden 1899 fast 10 000 lebende Rinder mit der Bahn verladen. Im Kreise Heydekrug hatte sich neben der Schweinezucht eine erhebliche Kälbermast entwickelt. Die Intensität der memelländischen Rinderzucht konnte auch in der Abtrennungszeit beibehalten werden 1937 kostete eine Milchkuh in Memel durchschnittlich 292 Lit, in Litauen 157 Lit, was nicht nur einen Preis-, sondern auch einen Qualitätsunterschied dokumentiert. Der Jahresdurchschnitt 1937 für Gesamtlitauen (einschl. Memelland) betrug 1349,6 l Milch je Kuh, für das Memelland dagegen 2290,6 l je Kuh, also fast 70% mehr! Damit erreichten die memelländischen Kühe genau den ostpreußischen Durchschnitt!

Bei der 1944 viel zu spät angeordneten Evakuierung des Memellandes gelang es nicht, den Rindviehbestand nach Westen zu retten. Was an Herden noch über den Memelstrom getrieben werden konnte, fiel in Ostpreußen in die Hände der Russen. Die Schafzucht ging, seitdem australische und südafrikanische Wolle die Preise ruiniert hatten, ständig zurück. Im Memelland wurden besonders in den Kreisen Memel und Heydekrug noch rund 30 000 Schafe gehalten. Von besonderer Bedeutung war die memelländische Schweinezucht. Englische und veredelte deutsche Rassen hatten in den letzten Jahrzehnten das alte ostpreußische Zuchtschwein verdrängt, das zwar genügsam war, aber langsam reifte und viel Fett ansetzte. Der Markt aber verlangte froh-wüchsige Fleischschweine. In der Abtrennungszeit orientierte sich der litauische Markt infolge der deutsch-litauischen Spannungen vor allem nach England, für das gut durchwachsene Bacon-Schweine gezogen wurden. Der Schweinebestand verdoppelte sich von rund 50 000 im Jahre 1919 auf über 100 000 im Jahre 1922, konnte aber den Vorkriegsbestand von über 140 000 nie wieder erreichen.